Aufgewacht aus der Traumfabrik

Es gab eine Zeit, in der ich träumte

Mir ging es nicht anders als euch! Es gab eine Zeit, in der ich an das Gute glaubte und davon träumte, dass die Menschheit aus den Fehlern ihrer Vergangenheit gelernt hat. Dass diese Zeit nicht jeder auf dieser Welt so erleben durfte, wusste ich damals noch nicht, da ich von der Welt und ihren Zusammenhängen nichts wusste. Ich wusste nichts vom Völkermord, der in unterschiedlichsten Ländern an Menschen passierte. Ich wusste nichts von Menschen, die Elefanten und Nashörner ausbluten lassen, um daraus Potenzmittel zu machen. Ich wusste auch nichts von Machthabern, die Kindern eine AK47 in die Hand geben, um deren Werte und Macht zu verteidigen. Wie man diese Zeit nannte? Es war meine Kindheit. Auch hier gab es das ein oder andere, einschneidende Erlebnis, was mich mein Leben lang prägt, aber ich durfte in einer in Frieden lebender Gesellschaft aufwachsen. Mir wurde viel vorgelesen und ich durfte träumen von der großen, weiten Welt und den Kulturen, die die Gesellschaften besonders machen. Ich träumte von fernen Ländern und wie Mensch und Tier in Frieden nebeneinander leben. Dass weder Mensch und Tier noch Mensch und Mensch in Frieden zusammen leben können, das wusste ich bis dato noch nicht - vielleicht war das auch besser so.

Aufgewacht, die Sonne lacht

Das Aufwachen aus diesem Traum war schleichend. Zugegeben, es ist nicht vergleichbar mit einem Traum aus dem man aufwacht und in der Realität steht. Nein, es geht nicht von heute auf morgen, sondern handelt es sich viel mehr um einen Prozess. Das erste Mal mit dem Platzpatronenrevolver an Fasching auf Indianer geschossen, das erste Mal beim Kaufladenspiel die Preise ins unermessliche angehoben, das erste Mal im Wald mit Stöcken Krieg gespielt, das erste Mal neidig auf andere gewesen, weil sie etwas hatten, was man gerne selbst wollte. Kommt es euch auch bekannt vor? Erst im Nachhinein überlegt man, ob das wirklich korrekt war? Als Kind weiß man noch nicht, dass im "romantischen, wilden Westen" das Morden der Indianer eine gängige Praxis war, um sich deren Land anzueignen und auch heute Indianer in deren Territorien stark benachteilt werden. Als Kind weiß man noch nicht, dass der Zugang zu Lebensmittel und sauberem Trinkwasser nicht selbstverständlich ist und dass das, was man im Kaufladen spielt, das echte Leben des Kapitalismus ist. Als Kind weiß man noch nicht, dass Geben oft mehr Freude macht als die ständige Erwartung, etwas zu erhalten. 

Irgendwann wachst du auf und erkennst, dass deine Opas und Omas, also nur zwei Generationen vor dir, mit den körperlichen und geistigen Folgen des letzten, großen Weltkriegs lebten. Dass deine Eltern ebenfalls unter den Folgen des Weltkrieges litten, da die Eltern und Lehrer, also die Personen, die ihr Wissen an die nächste Generation weiter gaben, geprägt waren vom Erlebten dieses dunklen Kapitels. Und dass es weiter ging wie eh und je. Wir spielten Cowboy und Indianer und schossen aufeinander, wir spielten Krieg mit selbstgebauten Waffen - weil für uns der Frieden als selbstverständlich geworden war. Hätte mein Opa Karl wohl nach den unterschiedlichen Verwundungen durch Granatensplitter, die für immer in seiner Lunge blieben, nach dem Erlebten rückwirkend als Kind Krieg gespielt? Hätte mein Opa Peter nach den Verwundungen durch Streubomben, die im Alter von über 80 Jahren dazu führten, dass ihm ein Bein amputiert werden musste, darüber nachgedacht, ob er als Kind gerne nochmal Krieg spielen würde? 

Das Spiel vom Frieden

Wie spielt man Frieden? Die Frage stelle ich mir schon lange und ich muss zugeben, es ist deutlich schwerer, als einen Stock in die Hand zu nehmen und imaginär so zu tun, als wäre er ein Gewehr. Als Kind war es deutlich spannender, bei den Ballerspielen meiner älteren Bekannten zuzuschauen, als bei Autorennen oder Fußballspielen.

Hätte es wohl genau so viel Spaß gemacht, statt mit Stöcken auf einander zu schießen, Bäumchen einzupflanzen, weil man spielt, dass man der Natur hilft? Hätte es wohl genau so viel Spaß gemacht, statt mit Platzpatronen auf Indianer zu schießen, gemeinsam Indianer zu sein, die in Frieden zusammen leben?

Das habt ihr gut erkannt: Krieg spielen macht nicht nur als Kind deutlich mehr Spaß, als Frieden zu spielen - das ist zumindest mein Fazit. Das liegt aber auch daran, dass unser gesamtes System auf globalen Konflikten aufbaut, wir das aber nicht wahrhaben wollen. 

Zurück in die Realität

Und plötzlich sitzt der Stahlhelm auf dem eigenen Kopf. Für mich war meine Militärzeit ein Jahr voll Abendteuer, da der Krieg so weit weg war. Ich sah die Grundausbildung sowie auch die Zeit an Bord mehr als "Krieg spielen auf einem anderen Level", als mit dem Ernst, dabei das Leben verlieren zu können. Dass man dabei die Spielfigur eines Autokraten oder Diktators werden könnte, war für mich damals nicht klar. Seit kurzem wurde aus dem Spiel ernst. Seit dem kann ich die Angst meiner Vorfahren deutlich besser nachvollziehen, als sie in den Krieg ziehen mussten, verletzt wurden und darauf hofften, es überstanden zu haben um dann verletzt und leer erneut an die Front geschickt zu werden. 

Doch Krieg findet nicht nur mit Waffen und Worten statt. 2015 unterhielt ich mich mit einer älteren Dame, die während des zweiten Weltkriegs geboren wurde, aufgewachsen im zerstörten Deutschland und mit ihrer harten Arbeit für den Wohlstand unseres heutigen Deutschlands beitrug. Zur großen Flüchtlingswelle sagte sie: "Jetzt kommen die von Arabien und Afrika und profitieren alle von dem Wohlstand, den wir mit harter, körperlicher Arbeit über die letzten Jahrzehnte aufgebaut haben" - Über diese Aussage zerbrach ich länger meine Gedanken. Auf der einen Seite, verstand ich die Aussage der Frau, auf der anderen Seite ist unser Wohlstand Großteils auf den Schultern derer aufgebaut, die nun als Wirtschaftsflüchtlinge zu uns kommen. Wenn wir nicht aufhören, diese Länder durch unser Wirtschaften auszubeuten, dürfen wir uns auch nicht wundern, wenn es hier zu Radikalisierung und Konflikten kommt.

Stell dir vor es ist Krieg und keiner geht hin

Stellt euch vor die Länder dieser Welt würden, statt in die Rüstung, in Klimaschutz investieren. Stellt euch vor, wir hätten aus der Vergangenheit gelernt und würden, statt in medialen Bubbles isoliert zu sein, einfach viel mehr miteinander reden. Natürlich ist das Coronavirus ein Multiplikator dieses sozialen Auseinanderdriftens, aber kann es nicht möglich sein, wieder zusammen zu rücken? Mit einem Lächeln erinnere ich mich an die Zeit zurück, in der ich noch an das Gute im Menschen glaubte.

 

Lasst uns einfach einfach denken. Unsere Erde verändert sich und wir müssen uns daher verändern. Wir können nicht weitermachen wie bisher und darauf hoffen, dass die Folgen unseres Handelns für uns keine Folgen hätte. Es würde mich freuen, wenn jeder erst einmal vor der eigenen Haustür kehrt bevor er anfängt, den Dreck des Nachbarn zu beanstanden. Unterstützen wir uns gegenseitig beim "Frieden spielen" und die ganze Welt profitiert. Zum "Frieden spielen" gehört auch das Thema "vergeben", was oftmals nicht einfach ist. Aber wie schon Mahatma Gandhi einst sagte "Auge um Auge und die Welt erblindet".

 

Ich hoffe, wir finden alle eines Tages den Weg zum Menschsein und zur Menschlichkeit, bei der jeder Mensch gleich viel Wert ist. Wo jeder Mensch Zugang zu sauberem Trinkwasser, Lebensmittel und vor allem Frieden hat. Abschließend dazu ein sehr bekanntes Zitat von Vaclav Havel: „Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht.“