Und plötzlich war die Wiesn . . . auch schon wieder vorbei!

Es  ist Samstag, der 17. Tag des Septembers im Jahre 2016, als sich Menschenmassen durch die Münchner Straßen schieben, um alle ans gleiche Ziel zu kommen: Die Theresienwiese. Das größte Volksfest der Welt öffnet heute die Pforten und die ersten Hektoliter des goldenen Gerstensafts werden in den Mündern der durstigen Menge versickern. Bereits im Morgengrauen stehen Fans (die keine Reservierung haben) bei gefühlten minus Zehn Grad Celsius vor den Türen der Zelte und warten auf das Öffnen dieser. Sobald sich die Türen öffnen, stürmt die Meute ohne Rücksicht auf Verluste gen Reservierungsfreie Tische - das erste Blut tropft auf den noch nach frisch gefällter Fichte duftenden Zeltboden. Die Plätze sind eingenommen, alle Rangeleien um jeden Zentimeter Bierbank beendet, jetzt heißts abwarten und Tee trinken – denn Bier gibt´s erst nach dem Anstich.

Die Pilger des Alkohols verfallen in tosendes Gebrülle, als der Festwirt – sozusagen der Erlöser - das Zelt betritt. Vom Spielmannszug begleitet geht dieser geradewegs zum ersten Fass, welches wie auf einem Altar erhoben aufgebart steht und von allen Gästen zu sehen ist. Der Messinghahn in der einen Hand und dem Holzschlegel in der Anderen kann das Spektakel beginnen. Hahn angesetzt, zwei kräftige Schläge plus ein Dritter zur Sicherheit – mit Freude verkündet der Gastgeber nun die erlösenden Worte: O´zapft is! Aus den Schänken sprudelt nun das flüssige Gold in die Ein-Liter-Glaskelche, die Schrittzahlen der Bedienungen nehmen rasant zu. Wo die einen noch auf´s Bier warten, liegen bereits die ersten unterm Tisch. Die Wiesn hat begonnen, noch 16 Tage Ausnahmezustand in der Landeshauptstadt des schönsten Bundeslandes der Bundesrepublik!

 

Am ersten Sonntag ist bekanntlich der Trachtenumzug, bei dem Trachtenvereine von Nah und Fern zeigen, welch prachtvolle Stoffe und Loden ihre Gauen repräsentieren. Die Straßen sind gesäumt von Zuschauern, die sich die Widerspiegelung bajuwarischen Kulturguts anschauen. Der Durchschnittswiesenbesucher, eingehüllt im Trachtenset für 100,00 EUR – Schuhe, Hose, Hemd und Halstuch natürlich inklusive – freut sich, gefühlt auch ein Teil dieser Kultur zu sein. Doch merke: Wer eine Lederhosn „Made in Bangladesch“ einer Lederhosn „Made in Bavaria“ vorzieht, wird sicher nie ein Teil dieser Kultur sein. Allgemein hat man mittlerweile öfter das Gefühl auf dem Kölner Karneval statt auf dem Oktoberfest zu sein. Ein Wrestling-, Bären- und Bananas-in-Pyjamas-Kostüm hat in einem Bierzelt mal wirklich nichts verloren. Wer in krebserregenden Stofflederhosn über´s Oktoberfest zieht zeigt, dass er bereits am Eingang sein Hirn im Schließfach abgegeben hat. Das zum ersten Sonntag!

 

Montag, 19.09.2016, Geburtsstunde des „Bazillus Oktoberfestus“. Mit Beginn der Wiesn fängt auch die Entstehung eines nicht gerne gesehenen Wiesnbesuchers an. Wer hier arbeitet und keine Bekanntschaft mit diesem Stammgast gemacht hat, kann nicht behaupten, tatsächlich hier gearbeitet zu haben. Es gehört zum guten Ton bei Angestellten, mit einer laufenden Nase und leichtem Fieber auf Hochtour zu arbeiten. „Bazillus Oktoberfestus“ ist eines der meisten mit nach Hause gebrachten Souvenirs – verständlich, denn es gibt diesen ganz umsonst und ohne nervige Tragetasche. Nach dem ersten Wochenende startet der Neugeborene in feucht fröhliche Wochen mit vielen Abenteuern und aufregenden Erlebnissen. Mit leichten Kopfschmerzen beende auch ich meinen Tag, der Virus hat sich glücklicherweise auch bei mir platziert.

 

Nach einem kleinen Zeitsprung ist schon der zweite Samstag herangerückt. Nun, mitten im Italienerwochenende angelangt, platzt die Wiesn wie gewohnt aus allen Nähten. Die Bierzelte schließen wegen Überfüllung, temperamentvolle Italiener prosten sich zu, die Polizei hat alle Hände zu tun. Doch nicht nur die Polizei ist am Laufen, sonder auch der Rettungsdienst, welcher mit allem möglichen konfrontiert wird, was vieles ist außer normal. Wo der eine sich beim Anprosten die Pulsadern am Maßkrug aufschneidet, trennt sich der nächste einen Finger ab. Nicht nur Männer verletzen sich gerne, auch Frauen passieren unglaubliche Unfälle. Bei einer bricht der Stöckel ihrer Highheels und damit auch gleichzeitig ihr Knöchel, eine andere schneidet sich beim Anstoßen die Stirn auf, wiederum beim Anprosten zerbricht der Maßkrug und Scherben stecken plötzlich im Oberschenkel. Was lernen wir an diesem Samstag: Wir stoßen die Maß mit Maß an!

 

Es ist der mittlere Sonntag, ein Tag wie jeder andere. Er beginnt mit der Frage der ersten Gäste im Büro: Haben Sie mein/e . . . gefunden?. Das witzige oder traurige daran ist, dass der Tag auch mit dieser Frage beendet wird. Bereits in der ersten Woche haben viele Jacken und Smartphones neue Besitzer gefunden, die Wegbeschreibung zum Fundbüro kann ich nun im Schlaf aufsagen. Ich hab doch nur kurz . . ., ich war doch nur einen Augenblick . . ., oder ähnliches sind dann die Erklärungen, wieso denn die Sache nun geklaut und nicht verloren ist. Bei genauerem Nachfragen kristallisiert sich jedoch meist heraus, dass der genaue Verlustort plötzlich nicht mehr so genau identifiziert werden kann. Das die ein oder andere düster Gestalt hier Geschäfte wittert ist bestätigt, bereits im letzten Jahr wurde beispielsweise bei einer Putzfrau ein Fund von 63 Handys und 8000,00 EUR Bargeld gemacht. Lassts einfach so an teuren Schmarn zuhause, wer braucht denn schon in einem Bierzelt eine Hugo Boss Lederjacke? Der Mitnehmer konnte Sie allem Anschein brauchen, aber der ehemalige Besitzer war mit Tränen überströmt als ihm der Verlust auffiel.

 

 

Zeitsprung – Montag, letzter Tag. Nach zweieinhalb Monaten Aufbau und 16 Tagen intensiven Feierns für die Einen, intensiven Arbeitens für die anderen, geht nun die Wiesn auch schon wieder zu Ende. Einen Monat später wird man am gleichen Ort nicht mehr erkennen, was hier statt gefunden hat. Der Aufwand ist Immens, der für die etwas mehr als zwei Wochen betrieben wird, doch Leidenschaft und Freude am Ganzen relativieren den Aufwand wieder. Am Ende des letzten Abends stehen alle Gäste auf den Bänken, Sternwerfer brennen und die Bayernhymne schallt durchs Bierzelt, Gänsehaut im Nacken. Das war´s dann wohl für 2016, eine wie zu erwartende friedliche Wiesn geht zu Ende, mit freudiger Erwartung auf all das, was das nächste Jahr alles bringt.

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