Jamaika - Schön und Gefährlich


Lang hab ich davon geträumt, auf diese Insel zu fliegen. Roots & Reggae war für mich lange Zeit nicht nur Musik sondern wahrlich ein Lebensgefühl beziehungsweise eine Lebenseinstellung. Die Insel in Live zu sehen, das Gefühl zu erleben, welches in vielen Songs besungen wird, war für mich ein sozusagen ein Drang.

2003, beim ersten Besuch am Reggae Festival am Chiemsee wurde ich infiziert vom jamaikanischen Fieber.

Nach meiner Ausbildung zum Anlagenmechaniker und vor meinem Wehrdienst ergab sich dann die Chance, nach Jamaika zu fliegen. Da meine Freunde hierzu entweder keine Zeit hatten und auch nicht dieses Verlangen, die Insel zu besuchen, meldete sich mein Vater freiwillig und wir begannen die Reise in die Karibik zu planen. Wir haben uns die Insel beide anders vorgestellt, als es dann Live war. 

 Am 02.03.2010 hoben wir vom Münchner Flughafen ab und reisten mit zwei großen Rucksäcken gen Westen, in eines der größten Abenteuer. Bis auf die ersten beiden Nächte hatten wir keine weitere Unterkunft für die 20 Tage auf der Insel. Angekommen in Kingston wurden wir von einem bereits gecharterten Shuttle abgeholt - der erste Eindruck der jamaikanischen Fahrweise spiegelte im Nachhinein den Eindruck des gesamten Aufenthalts wieder. Die ersten beiden Nächte schliefen wir im Four-Seasons direkt in Kingston, was zwar  sehr Luxuriös war, aber weit vom jamaikanischen Leben entfernt ist. Wir wollten uns unter anderem den Hafen der jamaikanischen Hauptstadt anschauen und machten uns eines Morgens auf den Weg dort hin.Je näher wir Richtung Hafen gingen säumten sich  die Straßen immer mehr mit Menschen, die allem Anschein nach nichts zu tun hatten und uns wie Außerirdische anschauten. In einem Land, in dem 95% farbig sind, fällt man in gewissen Gegenden als Weißer auf wie ein Walfisch im Plantschbecken. Plötzlich hielt ein weißer Toyota Kleinbus neben uns, die Schiebetür ging auf und wir sahen ca.6 schwer bewaffnete Polizisten die uns aufforderten, in den Bus zu steigen. Wir taten dies. Danach fuhr der Bus sofort los und raste mit 70-80 Km/h durch die holprigen Straßen der Armenviertel. Angekommen an der nächsten Polizeistation wurden wir ins Präsidium geführt. Ein Officer fragte uns in rauem Ton, was wir uns denn vorstellten bei unserem Weg von DownTown in diese Viertel?!? Wir könnten froh sein, dass uns die Patrouille fand, da wir sonst nun ausgeraubt und im besten Fall erschossen worden wären. 

Nun wussten auch wir, wie sicher dieses Land ist. Nach einer kurzen Recherche wussten wir, dass sich Jamaika im Frühling 2010 in einer großen Drogen- und Bandenkrise befand - durchschnittlich wurde alle 6 Stunden ein Mensch umgebracht und das bei einer Population von Berlin. Über einen Kontakt im Hotel lernten wir Leon kennen, unseren Guide zum höchsten Berg Jamaikas - die Blue Mountain Peak. Am dritten Tag starteten wir dann in die Berge zu einer Hütte, die Leon immer als "very basic" beschrieb. Auf der Rücksitzbank eines alten Chevys fuhren wir zur Mavis Bank, ein Kaffeeverarbeitungsbetrieb des besten Kaffees der Welt. Der Hauptabnehmer der Produkte sind mittlerweile Japaner und Chinesen, welchen auch große Anteile an der Firma sowie am Land gehören. Von dort aus ging unsere Reise zu Fuß weiter hinauf über sandige Straßen durch das Inland der Insel. Eukalyptusbäume, Kaffeepflanzen und viele kleine Bars, die ihre Boxen zur Bespaßung der Bevölkerung auf deren Hausdächer montierten zogen an uns vorbei. Gegen 23:00 Uhr erreichten wir im Lichte unserer Stirnlampen dann die Hütte - nichts anderes als ein Bretterverschlag mit dünnen Schaumstoffmatten, die den Zweck einer Isomatte ersetzten. Als ich Nachts meine Blase leeren musste, erschrak ich zu Tiefst, da hinter mir plötzlich zwei weiße Hunde saßen. Ich nahm das so hin, da ich wirklich sehr müde war. Um 04:30 klingelte bereits der Wecker und wir machten uns auf, im dunkeln durch die jamaikanischen Tropen zu wandern und Richtung Sonnenaufgang. Die beiden Hunde schliefen allem Anschein nach vor der Tür und folgten uns bis zur Spitze. Oben angekommen sahen wir ein wunderbares Naturspektakel, dass uns lange in Erinnerung bleiben wird. 

Beim Abstieg kamen wir an Jah-Bs Guesthouse vorbei und lernten dort Jah-Bs Sohn kennen, mit dem wir aushandelten, dass dieser uns auf die andere Seite der Berge fahren würde. Ursprünglich wollte er 200 US Dollar doch wir handelten mit unserem Guide einen Preis von 80 US Dollar aus - was immer noch viel zu viel gewesen wäre. Nach einer aufregenden Fahrt von knapp 4 Stunden kamen wir in Boston Bay an und hier forderte der Gauner dann seine 200 US Dollar. Da wir nicht gewollt waren, diese zu zahlen, fing er eifrig an zu telefonieren und die Situation wurde immer heikler. Plötzlich tauchten andere Freunde von Jah-B Junior auf, die uns dann dazu bewegten, die 200 US Dollar zu zahlen. 

Wir fanden schnell eine Unterkunft und brauchten erst einmal Ruhe von den erlebten Strapazen. Der nächste Tag wurde als Entspannungstag am Meer eingetragen. Trotz unseres kurzen Aufenthalts waren wir schon ziemlich am Ende. 

In der Innenstadt von Port Antonio lernten wir ein Paar kennen, mit denen wir am jamaikanischen Rio Grande eine Bambusboottour machten. Nach 3 Tagen in der Gegend wollten wir weiter und starteten mit den Root Taxis Richtung Ocho Rios, eines Hotspots für Kreuzfahrtschiffe. Dort wurden wir dann kurz von einem Gauner über den Tisch gezogen, der uns die Wasserfälle zeigen wollte und eigentlich Illegal in die Gärten mit uns einbrach - danach fuhren wir weiter nach St.Anns Bay, wo wir in den Ferienlodges ausgewanderter Deutsche unterkamen. Dort fühlten wir uns ausnahmsweise richtig Sicher - zumindest innerhalb der Mauern. Wir besuchten von dort aus auch das Dorf Nine Miles, in dem Bob Marley aufgewachsen ist. Abgesehen von dem Museum und deren Betreiber ist das Dorf wirklich super arm. Blechhütten reihen sich aneinander und im Museum schieben Kinder von Außen, durch Schlitze im Zaun, kleine, an Stöcken befestigte Tetra-Pack-Behälter zum Betteln durch. Im Museum sind Rasta-Männer, die lange schon die Philosophie des Rasta-Kultes verloren haben und vom Geld geblendet wurden. Nach drei wunderbaren Tagen starteten wir auf der Ladefläche eines Pick-Ups nach Montego Bay, wo wir wiederum umstiegen und mit einem Bus ins Black-River-Delta fuhren.

Hier fanden wir ein wirkliches Schmuckstück - wir schliefen in einem umgebauten Schulbus direkt am Meer. Hier hätten wir schon gleich am Anfang hinkommen sollen. Wir machten eine Tour durch das Black-River-Delta und besuchten die Fabrik von Appleton Estate auf der Ladefläche eines LKWs. In der Luft lag konstant etwas Rauchiges, da die weitläufigen Zuckerrohrfelder nach der Ernte abgebrannt werden. Auch die Brandrodung für neue Flächen zur landwirtschaftlichen Nutzung ist Alltag auf Jamaika. Nach einem Besuch der Pelican Bar mitten im Meer packten wir wieder unser Gepäck und wir fuhren weiter nach Jacksons Bay bzw. Rocky Point - gefühlt waren hier noch nie Touristen. 

Wir sahen lediglich den Tipp hierzu in einem MarcoPolo Reiseführer - es stellte sich sehr schnell heraus, dass hier nicht allzu viel los ist! Leider ist unser Taxi schon abgefahren gewesen, als wir uns unserer Situation bewusst wurden. Da wir immer noch der Illusion glaubten, es komme noch etwas, gingen wir ca. 3 Stunden am Strand entlang, bis wir in einem Sumpfgebiet versanken und umdrehen mussten. Die Dämmerung setzte bereits ein und das Dorf von dem wir starteten machte einen äußerst unseriösen, weshalb wir uns entschieden, am Strand zu schlafen. Ich baute einen Zaun gegen die herumstreunenden Ziegen und Schweine, wir breiteten unsere Handtücher aus und schliefen unter dem leuchtenden Sternenhimmel ein. 

Ausgeschlafen gingen wir im Morgengrauen wieder zurück zu dem Dorf und ließen uns von mit Harpunen bewaffneten Fischern auf die andere Seite des Sumpfes schippern - wir gaben unsere Hoffnung nicht auf, dort den Strand anzufinden, der im Reiseführer ausgeschrieben war. Neben einer Ruine eines Strandhauses und einer Bar war allerdings nicht viel zu finden. Also gingen wir über sandige Straßen wieder ins Landesinnere und suchten nach einer Möglichkeit, zurück nach Kingston zu fahren. Der Taxifahrer, den wir trafen, wollte uns unbedingt etwas zeigen, um uns Erholung zu bieten: Das Mineral! Es stellte sich heraus, dass es eine Badeanstalt war, die aus einem Wasserloch im Boden bestand, einem verhungerten Esel und einem Karussell. Das Mineral befand sich neben einem Damm eines unglaublich großen Bauxitsees - Millionen Tonnen werden auf Jamaika für den Weltmarkt abgebaut. Die meisten Minen gehören bereits chinesischen Unternehmen, Jamaika ist der fünft größte Bauxit-Förderer der Welt. Nun reichte es für uns komplett - wir wurden mal wieder abgezogen. Nun ließen wir uns nach Kingston fahren und verbrachten die letzten beiden Nächte zur Erholung im Four Seasons, bevor unser lang erwarteter Rückflug nach Bayern ging. Es war schön, dort gewesen zu sein und dennoch raubte es mir die bislang bestehende Illusion über die Lockerheit und Schönheit des Inselstaates.